Leben retten und Leiden lindern – unterwegs mit den Kollegen auf dem Rettungswagen

Rettungssanitäter
André Kasberger

Wer einen Unfall erleidet oder sehr schwer erkrankt, kann sich darauf verlassen, dass schnell professionelle Hilfe kommt. Dafür sorgen in Mülheim an der Ruhr rund um die Uhr die Kolleginnen und Kollegen der Feuerwehr und die Kräfte der Hilfsorganisationen.

Es ist 18:30 Uhr. Heute begleite ich zwei Kollegen auf ihrer 12-Stunden-Schicht in der Nacht auf dem Rettungswagen. Nach dem Anziehen der persönlichen Schutzausrüstung beginnt die Übergabe mit den Kollegen aus der Tagesschicht. Hier erfahren wir, dass die Vakuummatratze, die zur Immobilisierung von Patienten verwendet wird, nach dem letzten Einsatz im Krankenhaus verblieben ist. Für Ersatz wurde aber bereits durch die Kollegen gesorgt, sodass das Fahrzeug wieder voll einsatzbereit ist. Nach der Übergabe erhalten meine Kollegen und ich die Fahrzeugschlüssel und Melder.

Während die Kollegen der Tagesschicht im Feierabend verschwinden, begeben wir uns zum Fahrzeug. Routinemäßig wird das Fahrzeug auf Vollständigkeit und Funktionsfähigkeit gecheckt. Neben der Prüfung der richtigen Anzahl an Verbandsmaterial, Infusionen und Beatmungsmasken, werden auch das Beatmungsgerät und der modulare Patientenmonitor und Defibrillator auf ihre Funktion gecheckt. An diesem Abend werden wir hierbei tatkräftig von Rodion Bakum, Mitglied des Landtags, auf der Wache unterstützt. Als gelernter Arzt sind ihm Nachtdienste vertraut. Das Leben auf der Wache ist aber auch für ihn eine neue Erfahrung.

Um 19:52 Uhr ertönt das erste Mal der Melder. Bei der Leitstelle der Feuerwehr Mülheim an der Ruhr wurde eine gestürzte Person gemeldet. Jetzt muss es schnell gehen. Binnen weniger Sekunden rücken wir alarmmäßig aus. Eine ältere Dame ist in ihrer Wohnung gestützt. Über den Knopf an ihrem Armband konnte die am Boden liegende Dame den Hausnotrufdienst verständigen, der uns direkt in die Wohnung lässt und bereits eine Voruntersuchung untergenommen hat. Die Schmerzen in der Hüfte und das unnatürlich nach außen verdrehte Bein deuten auf einen Oberschenkelhalsbruch. Die Patientin wird entsprechend mit der Vakuummatratze immobilisiert und mit Hilfe der Schaufeltrage auf unsere Trage umgelagert. Nachdem die Patientin im Krankenhaus übergeben wurde, wird das Fahrzeug wieder für den nächsten Einsatz vorbereitet. Dann erfolgt noch die Dokumentation des Einsatzes. Nach jedem Einsatz wird alles Wesentliche in einem Protokoll festgehalten. Um 20:43 Uhr geht es wieder zurück zur Wache.

Kurz vor der Wache bekommen wir den nächsten Einsatz. Die Disponentin der Leitstelle fasst den Einsatz kurz über Funk für uns zusammen. Sofort geht es mit Blaulicht und Martinshorn zum Einsatzort.

Gegen 23:00 Uhr erreichen wir wieder die Wache. Wir sitzen im Aufenthaltsraum. Verteilt in einer gemütlichen Sofalandschaft, unterhalten wir uns in dieser ersten freien Minute über den Konflikt zwischen Arbeit und Schlaf in der Nacht. „Auch wenn der Körper in der Nacht funktioniert, gewöhnt man sich nicht so richtig an das Arbeiten in der Nacht. Wenn der Melder zum Einsatz ruft und du in kürzester Zeit wach und bei Sinnen sein musst, ist schon eine enorme Belastung für den Körper. Hinzu kommen natürlich die Probleme bei sozialen Kontakten. Während die meisten Menschen einen geselligen Abend in der Bar verbringen, einen Film im Kino schauen oder ein Konzert besuchen, sind wir ständig in Bereitschaft. So ist es manchmal schwierig, die Kontakte zu Freunden zu pflegen, da Arbeit und Freizeit sich jeweils überschneiden.“ „Gleichwohl ist es ein spannender Job, den wir haben.“, meint der andere Kollege. „Wenn der Melder auslöst, liest du zwar ein Einsatzstichwort und auf der Fahrt zum Einsatz kannst du dich auf das mögliche Einsatzszenario vorbereiten, aber dennoch ist jeder Einsatz anders. Das macht den Beruf für mich interessant. Wenn ich auf Schicht gehe, sage ich immer voller Stolz: unser Auftrag für die Nacht - Leben retten und Leiden lindern.“ Aber dies ist nicht nur ein Auftrag mit Verantwortung, sondern häufig auch verbunden mit körperlichen oder seelischen Belastungen.

Dass diese Belastungen zunehmen, macht der Kollege auch an den steigenden Einsatzzahlen fest. Vermehrt, so der Eindruck, werde die 112 in Situationen gerufen, die eigentlich gar kein Notfall sind. Grundsätzlich ist es richtig, in einer unklaren Situation den Notruf zu wählen. Ob ein einmaliger nächtlicher Wadenkrampf hierzu zählt, sei dahingestellt.

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Niemand weiß, was die Nacht noch bringen wird. Wir gehen in unsere Ruheräume. Manchmal ist man über jeden Moment dankbar, an dem man die Augen kurz zu machen kann. Diese Nacht wird wohl keine ruhige Nacht werden.

Gegen 00:30 Uhr werden wir zu einem Schlaganfall gerufen. Sofort heißt es aufstehen, anziehen, losfahren. In wenigen Sekunden von 0 auf 100. Hier spürt man das, was der Kollege meinte. Um 02:45 Uhr klagt eine Patientin über starke Kopfschmerzen und Übelkeit. Um kurz nach 04:00 Uhr werden wir zu einer bewusstlosen Person gerufen.Gegen 06:30 Uhr trifft unsere Ablösung ein. Nach der Übergabe beenden wir um 07:00 Uhr unseren Dienst. Bevor wir die Wache verlassen, müssen wir aber noch „klar Schiff machen“, d. h. Betten abziehen, Spülmaschine anstellen und den Aufenthaltsraum ordentlich hinterlassen. Nach dem Duschen geht es wieder in privaten Klamotten nach Hause. Auf dem Weg dahin geht es noch kurz beim Bäcker vorbei. Der Duft nach frischen Brötchen versüßt den Sonntagmorgen nach dieser Nacht mit viel zu wenig Schlaf.

Mehrere hunderttausend Menschen in Nordrhein-Westfalen arbeiten, wenn alle anderen schlafen. In der Nachtarbeit werden zentrale Aufgaben unserer Gesellschaft verrichtet. Sie fällt dort an, wo Menschen in Not sind, man sich um andere kümmert, die Produktion nicht stillstehen darf, Sicherheit organisiert oder für alle anderen der Start in den Tag vorbereitet wird.

Wir reden viel zu wenig über diese Arbeit und die Menschen, die sie verrichten. Das wollen wir ändern und schauen genauer hin: Hinter die Kulissen und in die Gesichter der Arbeit bei Nacht.

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Ein Projekt der SPD
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